Politik als Rollenspiel: Schüler führen EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei in einer Simulation
Am 15. und 16. Februar verhandelten 46 Oberstufenschüler des Gymnasiums Zum Altenforst im Rahmen eines Planspiels die notwendigen Schritte zu einem möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Das Forum Jugend der Friedrich-Ebert-Stiftung ermöglichte unseren Schülern diese praktische Erfahrung politischen Handelns.
Kilian Schmid hatte sich seine Rolle als türkischer Präsident wohl anders vorgestellt. Denn der Schüler der Jg. 11 empörte sich als Recep Erdogan vehement: "Die Türkei lässt sich nicht für doof verkaufen." Im Planspiel hatten alle Schülerinnen und Schüler die Rolle eines Beteiligten aus dem Rat der EU oder dem türkischen Parlament zu übernehmen.
Zwei Tage lang debattierten die Schülerinnen und Schüler hitzig über die einzelnen problematischen Kapitel der Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei. Im Planspiel war für sie spürbar, wie schwierig es sein kann unterschieldliche Standpunkte der politischen Kräfte in einem tragfähigen Kompromiss zu vereinen. Auch die Berichterstattung in den Medien und der Einfluss von Lobbyisten wurden simuliert.
Ziel des Planspiels war es für Schüler erlebbar zu machen, wie politische Entscheidungen auf europäischer Ebene in komplexen Prozessen zustande kommen. Es müssen viele verschiedene Meinungen angehört werden, denn es gilt einen Kompromiss auszuhandeln, den alle Beteiligten mittragen können. Solche Verhandlungen sind oftmals langwierig und aufreibend. Vanessa Specht, Vertretern Zyperns im Rat der EU, geriet ähnlich wie der 'Präsident' der Türkei in den Debatten an ihre Grenzen. Im intensiven Spiel war es schwer eine innere Distanz zur eigenen Rolle aufrecht zu erhalten. Vanessa empfand gerade den Austausch in den großen Runden als "teilweise richtig zum Ausrasten." So wunderte es nicht, dass sie die Debatten zugleich am anstrengendsten und schönsten fand.
Foto: Friedrich-Ebert-Stiftung
Politisches Handeln persönlich durchzuspielen empfanden die Schülerinnen und Schüler als bereichernd. Kilian Schmid erklärte nach dem Spiel: "Ich als Ministerpräsident der Türkei fand es sehr gut diese Diskussionen zu leiten. Das Beste am ganzen Planspiel war die abschließende Verhandlung, in der ich dann mit den Vorsitzenden der EU diskutieren musste." Für ihn sei es eine besondere Herausforderung gewesen, die Rolle einzuhalten, zumal die Partei "etwas rechts" stünde. Jürgen von Schlichting, einer der Kurslehrer, sah das Planspiel als eine Gelegenheit die Schüler zu aktivem politischen Engagement zu bewegen: "Durch das Spielen der Rollen konnte den Schülerinnen und Schülern originäres politisches Handeln gut nahe gebracht werden."
Ergebnis des Planspiels war ein Votum des EU-Rats und des türkischen Parlaments in Richtung einer Mitgliedschaft der Türkei. Die Akteure hatten klare Vorstellungen davon, welche Reformen in der Türkei zuvor durchgeführt werden müssen: Der Zypernkonflikt zwischen griechisch-zyprisch und türkisch-zyprisch beherrschten Gebieten auf Zypern müsse beigelegt und die Handelsblockaden müssen aufgelöst werden. Auch müsse die Diskriminierung ethnischer Minderheiten beendet werden, vor allem die der Kurden, die zahlenmäßig größte Minderheit in der Türkei.
Handlungsbedarf sahen die Beteiligten auch in den zentralen Bereichen Wirtschaft und Bildung. Auch die Jugendarbeitslosigkeit von knapp 20 % sei viel zu hoch. Die Vertreter der EU-Länder erklärten sich bereit die Türkei in den notwendigen Reformen finanziell zu unterstützen - dies setze aber die sichtbare Bereitschaft der Türkei voraus diese Reformen aktiv anzugehen.
Das Planspiel wurde vom Forum Jugend und Politik der Friedlich-Ebert-Stiftung gefördert. "Bei der Simulation erfahren die jungen Leute hautnah, wie schwierig es ist, im demokratischen System für die eigene Meinung in Debatten einzutreten und Kompromisse auszuhandeln," berichtete Enno Litzkendorf von der Friedrich-Ebert-Stiftung (Weitere Informationen finden sich auf der Webseite www.fes.de/forumjugend).
Politische Bildung lässt sich sicher theoretisch vermitteln. Politisch zu handeln, indem man in eine konkrete Rolle schlüpft, diese nach außen vertritt und nach Kompromissen mit anderen Akteuren sucht ist eine Art des Lernens, die jeden Unterricht bereichert.
Das Altenforst bedankt sich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Förderung des Projekts und die engagierte Leitung des Planspiels von Valentum Kommunikation GmbH (www.valentum-planspiele.de).
Cornelia Scheppeit