My house is my castle - diesen urenglischen Grundsatz umspielt John Ardens 1958 entstandene Sozialgroteske "Leben wie die Schweine", die das Theater am Altenforst am 19. und 20.3.1998 nach siebenmonatiger Probenzeit herausbringen wird.
My house is my castle - dieses Prinzip gilt für die bescheidenste Hütte - auch für die beiden Nachbarhäuser in der Sozialbaureihenhaussiedlung einer nordenglischen Industriestadt, in denen es zu skandalösen, komischen und peinlichen, schließlich tragischen Ereignissen kommt, die man in einer so ruhigen Gegend nicht erwartet hätte.
Fast zwei Jahre wohnt die Kleinfamilie Jackson nun in ihrem Häuschen, der Vater hat sich zum co-op-Vertreter hochgearbeitet, Tochter Doreen arbeitet in der Unterwäscheabteilung, Mutter versorgt Haushalt und Katze. Da geschieht das unerhörte: nebenan zieht eine neue Familie ein - eine etwas merkwürdige Familie: ein abgetakelter, alter Seemann, der von den glorreichen Zeiten auf See schwadroniert, aber keine Lust auf Arbeit hat; seine derzeitige Geliebte Rachel, die gelegentlich die Haushaltskasse aufbessert, indem sie einem wenig ehrbaren Gewerbe nachgeht; Rosie, die mißmutige Tochter von Seemann Sawney, die vollauf damit zu tun hat, ihre beiden Kinder Geordie und Sally mit dem Verkauf von Wäscheklammern durchzubringen, und Rachels halbwilder Sohn Col, der seinen Job auf dem Bau dazu benutzt, Werkzeug mitgehen zu lassen.
Bisher haben sie in einem alten Straßenbahnwagen ohne Räder hinter dem Bahnhof gehaust, als Nachfahren jener Fahrensleute, die als Bettler und Kesselflicker jahrhundertelang über die Insel gezogen sind und jetzt vom Wohlfahrtsstaat aus Gründen der "Resozialisierung" ein richtiges Dach über dem Kopf zugewiesen bekommen. Schon bald werden die neuen Hausbesitzer auf eine harte Probe gestellt.
Drei skurrile Gestalten nisten sich bei ihnen ein: Schwarzmaul, gerade aus dem Gefängnis entwichen, die kokette Nelke und ihre verrückte Mutter, die alte Krächze. Schwarzmaul ist der Vater von Rosies Kindern, und es scheint keine gute Idee von ihm zu sein, mit seiner Freundin Nelke ausgerechnet hier um Asyl zu bitten. Zwischen dem ruhelosen Roma und dem Sohn von Rachel kommt es zu einem Kampf um die attraktive Nelke; weil Schwarzmaul aber auch von der schwachen Rosie die Finger nicht lassen kann, wird er von Sawney in seiner Eigenschaft als Haustyrann zum Teufel gejagt.
Gefährlicher sind die Spannungen mit den angepaßten Nachbarn. Col stellt dem Ladenmädchen nach; Vater Jackson erliegt kampflos den Verführungskünsten der großen Rachel; Mrs. Jackson wird die Wäsche von der Leine geklaut, die Katze verschwindet, der Mann bekommt einen Tobsuchtsanfall im Vorgarten, die Tochter entdeckt, dass sie von ihren Eltern nicht ernst genommen wird und geht - erst mal zu ihrer Freundin Sheila. Schuld sind die "Asozialen" nebenan: doch die Frauen des Viertels rotten sich zusammen, und das Unglück für die kaum seßhaft gewordenen Landfahrer nimmt seinen Lauf.
Es spielen unter der Regie von Thomas Reschke:
Familie Jackson: Brigitte Steiner, Elisabeth Broermann und Stephan Leisge
Die Sawneys: Mirjam Ochel, Julia Flatau, Linda Kühne, Johannes Gross und Mario Oberhaus
Die Roma: Barbara Marschollek, Katharina Solzbacher und Björn Lukas
und: Anne Voss (Frau vom Wohnungsamt), Barbara Dreyer (Ärztin) und Ingmar Gekel (Polizist)
Aufführungen am 19. und 20.3.1998, jeweils 19.30 Uhr
Ende ca. 22.15 Uhr
Eintritt: Schüler DM 5,00/Erwachsene DM 10,00
Das Theater am Altenforst ist die Theater-AG der Sekundarstufe II.
Hinweis:
Die Aufführung des Stücks "Leben wie die Schweine" ist für Schülerinnen und Schüler unter 14 Jahren wahrscheinlich nicht geeignet.
von Friedrich Schiller
Das Theater am Altenforst zeigt als 21.Inszenierung ein aktuelles Stück: King Kongs Töchter von Theresia Walser hatte im September 1998 am Theater Neumarkt, Zürich, Premiere und wurde seither in München, Berlin, Dresden, Hannover, Düsseldorf und Frankfurt am Main nachgespielt. Theresia Walser, jüngste Tochter von Martin Walser und Schwester von Franziska (Schauspielerin), Johanna (Schriftstellerin) und Alissa Walser (Malerin und Schriftstellerin), ist Schauspielerin und schreibt Theaterstücke. 1998 wurde sie zur Nachwuchsdramatikerin des Jahres gewählt, 1999 zur Dramatikerin des Jahres, King Kongs Töchter war Stück des Jahres; so jedenfalls das Ergebnis der Kritikerumfragen der Zeitschrift "Theater heute".
Meggie, Carla und Berta, drei Altenpflegerinnen (Anne Voß, Katharina Solzbacher, Julia Flatau [siehe Photo]) denken sich für ihre Schützlinge in einem Duisburger Seniorenheim etwas Besonderes aus: wer einen runden Geburtstag feiert, wird als Hollywoodstar zurecht gemacht. Diesmal ist Frau Tormann (Almut Solzbacher) an der Reihe; sie wird morgen 80 und wartet auf ihren Sohn Winnie, der ihr Kassetten schickt, die er auf seinen Geschäftsreisen besprochen hat. Obwohl sie gar nichts von einer Mae West hat, soll sie sich in den platinblonden Sexstar der dreißiger und vierziger Jahre verwandeln. Für die drei "Seniorendompteusen" ist die Apotheose der ihnen anvertrauten Alten in Bette Davis, Clark Gable oder Rita Hayworth jedes Mal ein tödliches Fest; Frau Tormann wird es ebenso wenig überleben wie all die anderen vor ihr. Nach Frau Tormann ist wohl Frau Hilde Albert (Mirjam Ochel) an der Reihe, der ein Glücksbrief den Kopf verrückt hat und die schließlich ihren Mann, den gutmütig-fürsorglichen Herrn Albert (Daniel Wrzosok), der immer aufs Essen wartet, nicht mehr erkennt.
Herr Nübel (Marcel Rödder) besteht nur noch aus Sprüchen, die er bei jeder unpassenden Gelegenheit zum Besten gibt; immerhin hat er noch seine "Orchesterordnung" im Kopf. Herr Pott (Stephan Leisge), obzwar 79, fühlt sich noch wie 40; er hat ein Problem mit den gelben Vorhängen in seinem Zimmer, schreibt ein Gedicht über die "Fünfuhrmorgenvögel" und läßt sich von Fräulein Meggie mitten in der Nacht Geschichten erzählen. Frau Greti (Barbara Marschollek) kann noch ganz schön bissig sein und möchte ihren vielen Männern, die sie schon beerdigen musste, einen weiteren folgen lassen, am liebsten einen Elektriker. Als "invalide Omi" im Rollstuhl lockt sie den jungen "Abenteurer" Rolfi (Florian Dorin), der den Bus nach Athen verpasst hat, ins Altenheim. Dort warten einige Überraschungen auf ihn; unter anderem muss er einsehen, dass die alte Dame leider keine Bancomatkarte hat. Am Ende liegt er unter dem Tisch und rührt sich nicht, und Herr Pott philosophiert über den Tod.
King Kongs Töchter machen weiter: "Ich habe dann wieder eine halbe Woche Unsterblichkeit vor mir, und diesmal werde ich die nutzen, oh ja, da tauche ich mitten hinein ins Leben wie noch nie etwas Lebendes ins Leben selbst hinein ist."
"Wenn man diese Konstruktion ernst nimmt, dann geht es hier um Probleme, die nach dem realistischen Zeitstück schreien: Sterbehilfe, Pflegenotstand, Bruch des familiären Generationenvertrags. Die bewundernswerte Leistung von Theresia Walser besteht darin, dass sie sich dieses Stück, das vor Mitgefühl und edlen Empfindungen nur so triefen würde, verkniffen hat. Sie hat stattdessen den eigentümlich aktuellen und gruseligen Wesenszug ihrer Geschichte sehr geschickt hinter einer drastischen Komik versteckt." (Matthias Ehlert, FAZ, 19.10.99)