Poetry Slam-Workshop am Altenforst: kleine literarische Glanzlichter vor jungem Publikum
Mario el toro, Poetry Slammer, Künstler und Kabarettist, bot interessierten Schülern einen Poetry Slam-Workshop im Schuljahr 2016/17 an. Während die meisten Mitschüler ausschliefen oder ihren Hobbys nachgingen, traf sich samstags regelmäßig um 10 Uhr eine kleine, aber feine Gruppe von Jugendlichen, um Ideen zu entwickeln, an Texten zu arbeiten und diese einander vorzutragen. Diese Veranstaltung fand im Rahmen des Landesprogramms Kultur und Schule statt und wurde von Judith Grümmer am Altenforst koordiniert.
Wörtlich übersetzt ist ein Poetry Slam ein „Poesiewettstreit.“ In diesem Workshop galt es eher miteinander mit Sprache umzugehen und Vertrauen aufzubauen, als gegeneinander anzutreten. Poetry Slam als Kunstform schult Schreib- und Präsentationskompetenz, fördert Kreativität, das Sprachgefühl und Selbstvertrauen.
Wie entsteht ein guter Text? Welcher Stil passt zu mir? Wie nutze ich Worte, um Emotionen auszudrücken oder auszulösen? Wie kann ich meine Körpersprache und Stimme nutzen? All’ diese Fragen standen im Mittelpunkt des Workshops für kreatives Schreiben.
Im Mai und Juni fanden drei Veranstaltungen statt, um einige Ergebnisse des Workshops einem Publikum vorzustellen – für jeden Poetry Slammer ist das nach der Phase des Tüftelns am Text ein Höhepunkt. Ziel war es den Teilnehmern des Workshops ein Publikum zuzumuten, das klein genug ist, um nicht die Flucht ergreifen zu müssen, aber groß genug, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie man sich auf einer Bühne präsentieren kann. Eingeladen wurden jeweils 5., 6. und/oder 7. Klassen – also ein Publikum mit etwa 170 Zuhörern.
Organisatorin Judith Grümmer mit Hanna Wehrmacher, Katharina von Itter und Lena Huber
Poetry Slam interaktiv
Zum Abschluss des Workshops am 3. Mai trug Mario el toro im Rahmen von zwei Veranstaltungen auch eigene Texte vor, die auf die jüngeren Schüler abgestimmt waren. Der erste davon war interaktiv: Mario hielt Schilder mit einzelnen Buchstaben hoch, die gleichzeitig ein Wort darstellen wie C – Zeh, W – weh, T - Tee etc. Um diese Worte baute er eine Geschichte auf. Sobald ein Schild hoch gehalten wurde, durften die Zuhörer rein rufen und miterzählen. Dann trat Nachwuchs auf – alle, die es wagten sich dem Publikum zu stellen. Eine Zusatzveranstaltung am 1. Juni bestritten die jungen Poetry Slammer schon ohne Mario.
Die Macht der Worte
Eine gute Stunde lang liefern die Schüler/innen kreative Texte mit Titeln wie „Umdenken,“ „Veränderungen“ oder „Schlimmer Tag“. Der Ort des Geschehens ist ungewöhnlich: ein Kellerraum im Neubau, erleuchtet nur mit einem Scheinwerfer, ein Brett auf einem wackeligen Podest dient als provisorische Bühne, die Poetry Slammer balancieren wortwörtlich auf schwankendem Terrain und halten sich großartig.
Katharina erntet für ihre selbstironische Beschreibung eines schlimmen Tags Lacher, Mitgefühl und das unangenehme und doch befreiende Gefühl, dass uns allen diese Missgeschicke passieren.
Hanna blickt in ihrem Text voller Melancholie auf eine zerbrochene Freundschaft zurück: der Verlust der besten Freundin als Verlust eines Teils von sich selbst. Wie konnte das geschehen? „Wir waren mal die besten Freunde und dann hast du dich verändert. Oder ich habe mich verändert, ich weiß es nicht.“ Dieses Mantra als ‚Refrain’ oder Anker im Text löst je nach Tonlage unterschiedliche Emotionen aus: Melancholie, Wut, Enttäuschung, Trauer. Dieses Wechselbad der Gefühle ist so echt und gekonnt vorgetragen, dass im Publikum z.T. Tränen fließen.
„Umdenken ist der Schlüssel“
Ähnlich ergeht es einigen Zuhörern, als Lena Huber ihren Text „Umdenken“ vorträgt. Hier erzählt sie, wie sie die Scheidung ihrer Eltern erlebt und bewältigt hat. „Umdenken ist der Schlüssel!“ erklärt sie selbstbewusst. „Der Schlüssel zum Glück, der Schlüssel zur Freude, der Schlüssel zum Leben – der Schlüssel zur Macht!“ Das Spiel mit Plattitüden wie aus Ratgebern löst Gänsehaut aus, denn Lenas tatsächlichen Gefühle, Sorgen und Nöte scheinen wie kleine wertvolle Perlen aus dem scheinbar glatten Text hervor. Mit Selbstironie, Wortwitz und ungewöhnlichen Ratschlägen gespickt löst sie Lacher aus, aber auch Traurigkeit. Denn bei ihr liegen Verzweiflung, Heiterkeit und Wut nur Millimeter voneinander entfernt.
Am Ende der Veranstaltungen gibt es viel Applaus und Anerkennung. Die Macht der Worte zeigt sich in diesem dunklen, kühlen Raum, aus dem die Zuhörer in die inneren Welten der Vortragenden entführt werden.
Als die Zuhörer den Raum verlassen, nimmt jeder seine eigenen Eindrücke mit. Allen gemeinsam ist der Respekt vor dieser Leistung und das Gefühl nicht allein zu sein mit den Emotionen und Gedanken, die das Leben in all’ seinen Schattierungen in einem auslösen kann.
Eine tolle Zeit mit der Poetry-Slam-Familie
Wie haben die jungen Talente den Workshop und die Erfahrungen auf der Bühne empfunden?
Katharina von Itter beschreibt den Workshop als „eine der besten Erfahrungen des Jahres“. Das junge Sprachtalent konnte schon vorher gut mit Worten umgehen – „aber ich habe mich erst nicht getraut meine Texte vorzutragen,“ erklärt sie. Ihre wortgewandte Mitschülerin Hanna Wehrmacher betont die „ganz andere Art des Schreibens.“ Ihr sei vorher auch nicht bewusst gewesen, wie lustig und emotional Worte sein können. Auch Lena wirkt nach ihrem Vortrag souverän und ganz bei sich. Sie fühle sich erleichtert, nachdem sie die Scheidung ihrer Eltern aus ihrer eigenen Perspektive erzählt habe. Man lerne so sich neu zu entdecken, beschreibt sie ihre persönliche Erfahrung des Workshops, in der eine entspannte, geradezu familiäre Atmosphäre herrschte.
Mario el toro (Mario Görog) ist es in seinem Workshop gelungen, den Kinder und Jugendlichen zu zeigen, wie man sich sprachlich ausdrücken kann, ohne sich zu entblößen. Und die Zuschauer spürten ganz unverhofft die Macht der Worte.
Text und Fotos: Cornelia Scheppeit